Wenn man an Start-ups im Finanzbereich denkt, kommen einem meist Innovation, Wachstum und Geschwindigkeit in den Sinn – aber selten Governance oder Compliance. Das britische Fintech Revolut zeigt jedoch, dass sich beides nicht ausschliesst. Nach Jahren rasanter Expansion und einigen internen Reibungen hat das Unternehmen gelernt, dass gute Strukturen genauso wichtig sind wie kreative Ideen. Heute gilt Revolut als Beispiel dafür, wie Governance, Risk und Compliance (GRC) zu einem Teil der Unternehmenskultur werden können – und wie man mit einem ungewöhnlichen System namens „Karma“ Mitarbeitende dazu bringt, Verantwortung für gutes Verhalten zu übernehmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Revolut hat ein internes Punktesystem („Karma“) eingeführt, das Team-Boni an Compliance- und Risikoverhalten knüpft.
- Mitarbeitende und Abteilungen sammeln Punkte, wenn sie Richtlinien einhalten, Schulungen absolvieren oder Risiken frühzeitig melden.
- Das System soll nicht bestrafen, sondern gemeinsames Verantwortungsbewusstsein fördern – und hat laut Revolut die Compliance-Performance um rund 25 Prozent verbessert.
- GRC ist damit kein Kontrollinstrument mehr, sondern ein Teil des täglichen Handelns.
Warum Revolut sein Verständnis von GRC geändert hat
Revolut war lange Zeit ein Paradebeispiel für Wachstum um jeden Preis. Innerhalb weniger Jahre wurde das Unternehmen zu einem der bekanntesten Fintechs Europas, mit Millionen Kunden und einer aggressiven Expansionsstrategie. Doch mit dieser Geschwindigkeit kamen auch Probleme: Berichte über interne Überlastung, mangelnde Kontrollen und Schwächen bei der Geldwäscheprävention sorgten zeitweise für Schlagzeilen.
Die Geschäftsführung zog Konsequenzen. Statt Compliance als lästige Pflicht zu sehen, wollte man daraus ein Wettbewerbsvorteil machen. 2020 führte Revolut das „Karma-System“ ein – ein Punktesystem, das Mitarbeitende und Teams direkt dafür belohnt, wenn sie GRC aktiv leben.
Wie das Karma-System funktioniert
Die Idee ist einfach, aber wirkungsvoll: Jede Abteilung bekommt Punkte für gutes Risikoverhalten. Dazu zählen abgeschlossene Schulungen, korrekte Dokumentation, frühe Meldung potenzieller Probleme oder die Einhaltung interner Richtlinien. Verstösse oder Versäumnisse führen dagegen zu Punktabzug.
Diese Punkte werden regelmässig in einem internen Dashboard ausgewertet und wirken sich auf Bonuszahlungen aus. Der Clou: Nicht Einzelpersonen, sondern ganze Teams werden bewertet. So entsteht sozialer Druck – aber auch Zusammenhalt. Das Ziel ist, dass alle Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen, weil ihr eigenes Verhalten das Team-Ergebnis beeinflusst.
Ein Revolut-Manager beschrieb das System in einem Interview so: „Es geht nicht darum, Fehler zu bestrafen. Es geht darum, Verhalten sichtbar zu machen, das Risiken früh erkennt und verhindert.“
GRC als Teil der Unternehmenskultur
Das Karma-System ist nicht nur ein Tool, sondern Ausdruck eines Kulturwandels. Revolut hat verstanden, dass GRC kein isoliertes Regelwerk ist, sondern Teil des unternehmerischen Denkens.
Governance bedeutet hier: klare Zuständigkeiten, nachvollziehbare Entscheidungen und Transparenz im Reporting. Risikomanagement heisst: Risiken nicht erst im Krisenfall zu erkennen, sondern sie im Alltag zu messen, zu priorisieren und bewusst zu steuern. Und Compliance ist nicht länger Synonym für Bürokratie, sondern wird als gemeinsames Ziel verstanden – ähnlich wie Kundenzufriedenheit oder Umsatzwachstum.
Indem GRC auf diese Weise in den Arbeitsalltag integriert wird, entsteht eine lernende Organisation. Mitarbeitende wissen, dass sie selbst Teil des Risikomanagements sind – nicht die Compliance-Abteilung „irgendwo da oben“.
Was andere Unternehmen davon lernen können
Das Revolut-Modell ist kein Patentrezept, aber es liefert wichtige Impulse:
- Anreize schaffen funktioniert besser als Kontrolle. Wer GRC in eine positive Kultur übersetzt, motiviert Mitarbeitende, statt sie zu überwachen.
- Teamverantwortung ist stärker als Einzelbewertung. Wenn ganze Abteilungen für GRC-Ergebnisse verantwortlich sind, entsteht echte Zusammenarbeit.
- Transparenz ist der Schlüssel. Offene Dashboards, regelmässige Kommunikation und klare Ziele schaffen Vertrauen und Orientierung.
- Führungskräfte müssen vorangehen. Eine GRC-Kultur entsteht nur, wenn das Management sie glaubwürdig lebt – nicht, wenn sie von oben verordnet wird.
Herausforderungen und offene Fragen
Natürlich ist das Karma-System kein Allheilmittel. Manche Kritiker befürchten, dass ein Punktesystem zu mechanisch sein könnte oder dazu verleitet, gute Zahlen zu produzieren statt gutes Verhalten. Revolut selbst räumt ein, dass das System nur funktioniert, wenn es von Führungskräften mit Sinn und Verständnis eingesetzt wird.
Dennoch zeigt das Beispiel, dass es möglich ist, GRC menschlich zu gestalten – als etwas, das Menschen motiviert und Organisationen stärkt, statt sie zu bremsen.
Fazit
Revolut hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Vom schnellen Fintech hin zu einem Unternehmen, das Governance, Risikomanagement und Compliance nicht als Bürde, sondern als Erfolgsfaktor begreift. Das Karma-System mag ungewöhnlich klingen, doch es zeigt, was passiert, wenn GRC Teil der Kultur wird: Menschen übernehmen Verantwortung, Risiken werden früh erkannt, und Vertrauen entsteht auf natürliche Weise.
Gerade in einer Zeit, in der viele Unternehmen mit Unsicherheit kämpfen, ist das vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Gute Governance beginnt nicht im Audit-Bericht, sondern im täglichen Verhalten jedes Einzelnen.
FAQ
Was ist das Karma-System bei Revolut? Ein internes Punktesystem, das die Einhaltung von Risiko- und Compliance-Regeln messbar macht. Teams sammeln Punkte für gutes Verhalten, die sich auf Bonuszahlungen auswirken.
Wie hat sich das System auf die Performance ausgewirkt? Nach Angaben von Revolut hat das Karma-System die unternehmensweite Compliance-Performance um etwa 25 Prozent verbessert.
Warum ist das System teambasiert? Revolut wollte keine Angstkultur schaffen. Statt Einzelne zu bewerten, werden Teams als Einheit gesehen – so entsteht gemeinsames Verantwortungsgefühl.
Können andere Unternehmen das übernehmen? Ja, aber mit Anpassung. Wichtig ist, dass es nicht nur um Punkte geht, sondern um echtes Bewusstsein. GRC muss Teil der Führung und Kommunikation werden.
Was macht Revolut heute anders als früher? Das Unternehmen setzt stärker auf Transparenz, klare Prozesse und kontinuierliches Lernen – statt auf schnelles Wachstum um jeden Preis.